Warum ich es liebe Anfänger zu sein.

Yoga Anfänge(r*innen)

Umfragen zu Folge haben fast eine Million Menschen in der Schweiz schon einmal Yoga gemacht.

Du bist seeeehr wahrscheinlich auch eine*r davon, richtig?
Und jetzt sag mir mal: wie würdest du dich einschätzen: ambitionierte Anfängerinn, neugieriger Neuling, erfahrene Praktizierende oder absoluter Profi?

Laut der “Global Yoga Survey” Studie von 2021 (hier kannst du auf Englisch mehr darüber lesen) stufen sich mehr als 1/3 der befragten Yoga-Übenden als Anfänger ein und nur gerade mal 1 von 10 würden sich als “Advanced” beschreiben.

Und das obwohl, dass mehr als 2/3 angegeben haben, mindestens 3mal pro Woche Yoga zu machen.


Wie hoch Hängst du Die Messlatte?

Nun ist es gerade beim Yoga so, dass man sich ja nicht wirklich an etwas messen kann…

Ich kann meinen Sonnengruss in 4.75 Sekunden abliefern und habe top-Noten von der Jury für Balance, Atemkontrolle und Körperspannung erhalten. Darum bin ich jetzt amtierende Europameisterin im Sonnengrüssen Einzeldisziplin. M-hm…

Eeehm… nö! So läuft das beim Yoga nicht.

 

Ein Anfänger zu sein, ist eine relativ subjektive Bewertung – eine die, wir oft im Vergleich zu anderen machen. Wir messen uns dann also vielleicht an einer zeitlichen Komponente (seit wann und wie oft mache ich Yoga). Oder wir messen uns daran, welche “schwierigen” Posen wir wie gut erreichen bzw. stufen uns dann im Vergleich mit anderen (die es besser, oder weniger gut als wir können) ein.

Veilleicht schüttelst du jetzt auch erst mal den Kopf uns denkst: “Neeeein, das hat doch nichts damit zu tun…”. Denn, selbstverständlich geht es im Yoga um mehr als die körperliche Praxis und die Posen.

Aber sagen wir mal, du könntest den Kopfstand, Handstand, den Spagat und dir deine eigenen Füsse hinter die Ohren klemmen – da nehme ich mal an, dass du dich zumindest als sehr beweglich, wenn nicht sogar als Fortgeschrittener-Yogi bezeichnen würdest, oder?

Nun, wie gesagt, bei deinem Yoga geht es noch um mehr als Asanas (Yoga-Posen) und wie gut du sie umsetzen kannst.
Für die meisten von diesen 1 Million Menschen in der Schweiz, die schon einmal Yoga gemacht haben, ist jedoch einfach die Bewegungspraxis der erste Berührungspunkt mit Yoga. Wir nehmen einen Grossteil unserer Realität nunmal durch unseren Körper wahr.

Und können wir diese Wahrnehmung steigern, vertiefen, verfeinern; dann kann die körperliche Praxis eben auch die Eingangstür zu Meditation und Co. sein.
Ganz so, wie sich das die alten Yogis ausgedacht haben ;-)


Wir können unser Yoga also als Praxis verstehen, mit der wir uns immer wieder aufs Neue auseinandersetzen dürfen. Auch in der Meditation, bei den Atemtechniken und allem anderen gilt es, immer wieder die Anfängerperspektive einnehmen zu können.

 “The Beginner’s Mind”

Wir alle waren als Kind einmal Profis im “Anfängersein”: lernen, entdecken, Rückschläge in Kauf nehmen, wieder aufstehen, wiederholen, verbessern, neu lernen… all das bringt der Anfängergeist mit sich.

Der Satz: “Keep a beginner’s mind” ist dann auch ganz am Anfang meiner Yogalehrer-Ausbildung aufgetaucht. Es sollte eines der Grundprinzipien sein, dass uns durchs Training begleitet. Und für mich hatte dieser kleine Wortfetzen irgendetwas an sich, was mich nicht mehr los gelassen hat.

Denn, wenn man dann eben so mit einer Gruppe von 25-30 anderen zukünftigen Yogalehrerinnen in einem Raum ist, jaaaaaa dann will natürlich niemand so wirklich der Anfänger sein… Das mit dem “sich vergleichen”, beurteilen und die eine oder andere Ego-Klatsche ist also vorprogrammiert ;-)

Die Grundhaltung

Wie dieses kleine - mir unbekannte - Zwerglein auf dem Bild, dass hier mutig seine Umgebung erkundet, sind wir alle geborene Profis im Anfängersein. Als Kinder sind wir überall Anfänger. Wir lernen, entdecken, probieren aus und gehen jeden Tag wieder aufs Neue auf Herausforderungen zu.

Irgendwann verlernen wir dann aber dieses Anfängerdenken und haben alle unsere Muster, Normen, Verhaltensweisen, Gedankenkonstrukte.

Und das hat natürlich seine Berechtigung. Es macht Sinn, nicht jeden Tag ALLES neu lernen zu müssen. Das heisst aber nicht, dass wir uns nicht WEITERENTWICKELN können, dass wir nicht auch als Erwachsene noch WACHSEN können.

Also nehmen wir uns doch jetzt gerade ein wenig Zeit, um die wundervollen Werte des Anfängersein zu feiern: Neugier, Offenheit, Hingabe, Bescheidenheit und Mut!

Und lass uns diese Werte & Worte als kleinen Reminder im Alltag mitnehmen dass wir jederzeit diese Möglichkeit haben, immer wieder mit frischem Sinn an etwas heran zu gehen.

Denn wie ich dir hier mit meinen 5 Gründen, warum ich es liebe immer wieder Anfänger zu sein zeigen möchte, tut uns das gut, hält uns das gesund und bringt uns das so viel Freude in unser Leben.

5 Gründe, warum ich es liebe immer wieder Anfänger zu sein.

1.) Begeisterung

Wenn wir Anfänger*innen sind, gelten wir auch als “Amateure” in der einen Sache, die wir gerade für uns entdecken.
Per Definition heisst das, dass wir etwas aus “Liebhaberei” heraus tun, ohne Geld dafür zu erhalten oder es als unseren Beruf auszuüben.

Wir gehen dieser Sache dann also aus einer inneren Motivation heraus nach und sind bereit Energie (meist in Form von Zeit & Geld) darin zu investieren. Im Gegensatz zu einer Arbeit, für die wir uns als Profi/Fachkraft qualifizieren und dann einen bestimmten “äusseren Anreiz” erhalten (meist in Form von Zeit & Geld) erhalten.

Geben wir uns also immer wieder eine Chance Anfänger, Beginner und Neuling zu sein, dann gibt es immer wieder etwas, was uns so richtig fasziniert und begeistert. Wir lernen immer wieder etwas dazu.

In unserer Gesellschaft sind diese Chancen, Anfänger oder eben Amateurin in einem Bereich zu sein, meist eher auf das erste Lebensdrittel gebündelt. Irgendwann wird es nicht mehr so ganz akzeptiert, wenn wir “immer noch” Anfänger sind. Irgendwann wird von uns erwartet, dass wir “aus-gelernt” sind.
Wo sollen wir denn dann unsere Begeisterung her nehmen? Was inspiriert uns dann?

Und entspricht es nicht auch der sokratischen Weisheit, dass wir uns immer wieder bewusst sind, wie wenig wir wissen?
Sollten wir uns denn nicht stetig auf die Suche nach neuen Erkenntnissen, neuen Lernmöglichkeiten und damit auch neuer Faszination und neuer Begeisterung aufmachen?
Haben wir nicht ein ein Recht darauf, von unserem eigenen Leben begeistert, inspiriert und fasziniert zu sein?

Ich sage ja! Was sagst du?

Also buch den Töpferkurs , mach dich auf die Suche nach Gesangsunterricht , schreib dich ein für den Barrista-Crashkurs und geh in den Italienischunterricht.

2.) Neugier

Und im Sinne der Amateur-Philosophin geht es auch für Grund Nr. 2, warum ich es liebe, immer wieder Anfänger zu sein, weiter. Denn, es geht um das grosse WARUM!

Sinnfrage

Auch hier können wir wir davon inspirieren lassen, wie wir als Kinder mit diesem Staunen, dieser Neugierde und 1000xWARUUUUM durch die Welt gegangen sind. Wir haben diesen Wissendurst, wir wollen entdecken, wir wollen Lernen, wir wollen uns weiterentwickeln.

Unsere Fähigkeit etwas zu hinterfragen sehe ich nämlich als eine Art der Neugier. Natürlich kann das auch in den Zynismus übergehen, wenn wir zu kritisch oder negativ sind. Doch vergessen wir nicht dass wir eben von etwas sprechen, was wir mit Hingabe und aus Liebhaberei tun (—> Amateur*in).

Neugier und Wissensdurst begleiten mich schon ein Leben lang, da ich immer gerne gelernt habe. So hat es dann für mich im Hinblick auf meine Yogalehrerin-Ausbildung auch erst dann so richtig KLICK gemacht, als ich gelernt habe zu fragen “Okay, aber WARUM?” Was will ich mit dieser oder jener Pose erreichen? Welche Muskelpartien sollen welche Aufgabe ausführen? Was verlange ich von meiner Schulter und wie kann ich sie mit anderen Posen, auf diese Aufgabe vorbereiten?

Sinnbildung

Dieser Prozess vom Hinterfragen, vom “etwas nachgehen” vom “für mich selbst zusammenstückeln” - DAS hat für mich so viel Sinn gemacht! Viel mehr Sinn, als einfach irgendwelche Sequenzen zu lernen und wiederzugeben “weil man es halt so macht”.

Genau deshalb, ist dann auch Isabel’s Yoga entstanden, weil ich dir etwas weitergebe, was ich auch für mich immer wieder neu angehe. Ich möchte auch dir diese WARUM-Werkzeuge mitgeben, damit DU für DICH in DEINEM Körper DEIN Yoga umsetzen kannst. Genau das verlangt immer wieder von uns diesen Anfängergeist, damit wir immer wieder neu und neugierig auf Posen, Gelenke, Musklen und in unseren Körper hineinschauen.


3.) Feuerwerk im Kopf

Von diesen etwas weniger “handfesten” und vielleicht eher persönlich-philosophischen Punkten, schauen wir jetzt noch ein wenig genauer hin - und zwar ins Gehirn. Wenn wir eben diesen Beginner’s mind der «Anfängerverstand» oder das Anfängerdenken haben, dann ist tatsächlich in unserem Hirn etwas anders eingestellt:

Die Alltagsroutinefilter sind ausgeschaltet, weil jede Information potenziell hilfreich sein könnte.

Stell dir doch mal vor, du läufst zum ersten Mal durch einen Ort, den du nicht kennst: du siehst winzige kleine Details, du hörst unbekannte Geräusche, du riechst neue Düfte – deine Sinneswahrnehmungen sind geschärft weil alles eine hilfreiche Information sein könnte, damit du dich besser an diesem neuen, unbekannten Ort zurecht finden kannst. 

Läufst du jedoch einfach den Weg vom Bus nach Hause, ja da weisst du nach dem 100ten mal, dass du keiner Gefahr ausgesetzt bist, wo du hinläufst etc. – dein Hirn schaltet die Filter an damit es Energie sparen kann und du erhältst keine starken Sinnesreize.

Selbst wenn wir nicht an einen unbekannten Ort reisen können oder wollen, können wir uns darin üben, die “Filter” auszuschalten. Genau hier setzt die Achtsamkeit an: nimm Dinge wieder ganz bewusst, im Hier & Jetzt und wenn möglich mit allen Sinnen wahr. 
Das ist tatsächlich etwas, was wir wieder üben müssen, denn wir sind ständigen Ablenkungen ausgesetzt und die meisten von uns haben Mühe, sich länger auf bloss eine Sache zu konzentrieren.

Nimm als einfache Übung doch einfach dein Essen mal ganz aufmerksam wahr: stell dir vor, dass du noch nie in deinem Leben Rüebli gegessen hast - analysieren, wie es aussieht, definiere, wie es riecht, nimm wahr, wie es schmeckt…

Lang lebe der aufmerksame, achtsame Anfänger ;-)

4.) Fitness fürs Gehirn

Begeisterung, Neugier und Achtsamkeit - schön und gut, aber ich hab dir auch gesagt, dass es für uns sogar gesund ist, Anfänger zu sein! WARUM?

(Tolle Frage, das mit Punkt Nr.2 funktioniert ja schon mal gut)

Es ist wichtig für uns immer weiter zu lernen. Denn damit formen und fordern wir unser Hirn immer wieder neu.

Neuroplastizität

Früher ist man davon ausgegangen, dass Lernen irgendwann abgeschlossen ist, sich das Hirn nach den intensiven Lernphasen der Kindheit und Jugend irgendwann “fertig” oder “voll” ist. Doch heute weiss man dass auch unser Hirn plastisch ist - wir formen es mit unseren Gedanken, Erfahrungen, Eindrücken immer wieder neu.

Immer wieder Anfänger zu sein, fördert also auch unsere Hirn-Fitness und verbessert unsere kognitiven Fähigkeiten. Und dies nicht nur in dem Bereich, in dem wir gerade etwas Neues lernen (z.B. einer Sprache, also im Sprachzentrum des Hirns) sondern auch in der Problemlösung, in kreativen Prozessen, sozialen Fähigkeiten u.v.m.

Wir können zudem neue Vernetzungen im Hirn fördern und sind weniger festgefahren in bestimmten Denkmustern. Wir trainieren unser Hirn also auch in dem Bereich, dass uns unbekannte Situationen weniger stark reizen (z.B. in der Hinsicht, dass es Angst in uns auslösen kann), weil wir ein grösseres Repertoir an Lösungen bereit haben bzw. uns beigebracht haben, dass NEU/ANDERS nicht unbedingt = GEFAHR sein muss.

Gerade in einer Welt, in der Veränderungen immer öfter und schneller auf uns zukommen, in der das lebenslange Lernen auch im Beruf wichtiger wird, hilft es uns, wenn wir uns dieses “beginner mindset” aneignen bzw. nicht verlernen.

5.) Courage! Mut & Beherztheit

Und schliesslich: Ein*e Anfänger*in zu sein, braucht Mut und Beherztheit!
Wir nehmen es immer wieder in Kauf, aufzubrechen unsere Kompetenz zu erweitern und auf Unbekanntes zuzugehen: der Anfänger stösst relativ bald einmal an eine Grenze: “Das kann ich (noch) nicht”.

Um das zu sagen, braucht es nicht nur eine (gesunde) Selbsteinschätzung sondern eben auch eine Portion Courage.

Natürlich heisst das nicht, dass du ALLES lernen musst, dass du dich irgendwo “zum Affen machen musst” und nie ein Profi sein kannst. Es ist auch sehr gut und wichtig, seine Kompetenzen und Talente zu kennen und für sie einzustehen. Aber für die Dinge, die uns begeistern (Hallo “Inspiration”), die uns Zeit & Raum vergessen lassen (Hallo “flow”) und die unser Herz höher schlagen lassen (Hallo “Amateur”) - für die dürfen wir uns auch ein Herzfassen und unsere Komfortzone verlassen.

Dort, ausserhalbe der Komfortzone entwickeln wir uns nämlich weiter - dort drüfen wir auch als Erwachsene immer wieder wachsen.

Und diese Komfortzone, kannte sogar schon Herman Hesse:

STUFEN 

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,

Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

(Herman Hesse, 4. Mai 1941)

 ((Übrigens: diese “heimischen Lebenskreise” in denen das “erschlaffen” droht - jap, das ist die neudeutsche “comfort zone”))

Lass uns also diesen Zauber des Anfangs immer wieder neu für uns entdecken - im Altbekannten ebenso wie in Alltags-Abenteuern. “Keep a beginner’s mind” - egal wie ausgezeichnet gut deine Fähigkeiten in etwas sind.